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Dj-Interview: Anja Schneider - Von Corona sind wir alle betroffen!

DJs und Booking-Agenturen sind von der Pandemie besonders hart betroffen. Nicht nur gilt für sie praktisch ein Berufsverbot. Darüber hinaus fehlt ihnen auch eine politische Repräsentation. Um der Szene eine Stimme zu geben, haben sich 170 Agenturen und 2000 Künstler zu dem Verband „Booking United“ zusammengeschlossen. Anja Schneider ist eine der prominentesten Sprecherinnen für die Organisation und vertritt die Interessen der Mitglieder mit Leidenschaft. In ihrem Interview mit Tobias Fischer stellt sie fest: Die Reaktion der Politik ist ein Armutszeugnis!

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Beat / Du hast darauf hingewiesen, dass viele Betroffene eine bemerkenswerte Kreativität im Umgang mit dem DJing-Verbot bewiesen haben. Wozu hast du die Auszeit persönlich genutzt?

Anja Schneider / Also von einer Auszeit kann man nicht gerade sprechen. Ich habe die Zeit genutzt und war sehr viel im Studio. Habe drei neue EPs auf meinem Label Sous veröffentlicht („Seduction“, „Boundless Beings“ und „Turning My Head“), habe einen Track zur „Marble Bar Detroit“ Charity-Compilation beigesteuert und einen 2020-Rework für meinen alten Track „Dubmission“ gemacht. Auf Radio Eins hört man mich regelmäßigin meiner Sendung Club Room und auch jetzt mit einer Interview-Reihe zur Situation der Künstler und Kreativszene während der Pandemie im Tagesprogramm. Ich hatte tolle Interviews mit 2raumwohnung, dem Watergate oder Henning Wehland und vielen mehr. Dazu habe ich einen eigene Talk Podcast Club Room BACKSTAGE. Ich habe angefangen, mich bei Booking United politisch für unsere Situation einzusetzen und ein Buch zu schreiben. Langweilig ist mir nicht gerade.

Beat / Die Gründung von Booking United wird vielen Betroffenen Hoffnung machen. Wann spätestens wurde es klar, dass die aktuelle Situation ein gemeinschaftliches Handeln erfordert? 

Anja Schneider / Es wurde eigentlich sofort Mitte März klar, dass wir einen Verband für unsere Szene gründen müssen. Wir haben rund 170 Agenturen und Management-Firmen und 2000 Künstler und wir kümmern uns ganz speziell um unsere Belange und Probleme. Denn obwohl wir so viele und so ein wichtiger Wirtschaftszweig sind, habe ich immer noch den Eindruck, wir werden nicht wirklich gehört oder ernst genommen. Das erfordert viel Arbeit und Kraft und auch Motivation.

Beat / Dass die Club-Szene ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, sollte man eigentlich keinem mehr erklären müssen. Was meinst du, warum sich die Politik nach anfänglichen Hilfen zu so wenig konkreten Maßnahmen durchringen konnte? Ist die Sonderstellung von Berlin ein Problem für die Zusammenarbeit mit dem Bund?

Anja Schneider / Natürlich sind wir in Berlin in einer exponierteren Situation als zum Beispiel in einer anderen Stadt. Trotzdem ist es ein Problem, dass unser ganzes Land angeht und Deutschland als „das Kulturland“ ist gesamtheitlich betroffen. Es kann nicht sein, dass wir immer zwischen Bund und Land vertröstet werden und es kann nicht sein, dass wir nicht wie andere Wirtschaftszweige entsprechend unterstützt werden. Es ist wichtig, hier eine Lobby zu bilden und eine Stimme zu haben. 

Beat / Gibt es eine Bewusstseinslücke?

Anja Schneider / Ich glaube, viele Menschen wissen überhaupt nicht, was die Veranstaltung-Branche in Deutschland bewirkt, umsetzt und wie essenziell sie für unsere Gesellschaft ist. Wir müssen Kultur fördern. Da setzte ich mein Augenmerk ganz wichtig auch auf die Subkultur.

Beat / Ich habe die Interviews mit Dixon zur Pandemie und Booking United gelesen und in den Kommentaren liest man dann leider oft, es würden wieder einmal die Reichen klagen … 

Anja Schneider / Es ärgert mich maßlos. Wenn Herbert Grönemeyer oder Udo Lindenberg spricht, haben wir das gleiche Problem. Wir brauchen starke Künstler mit starken Worten. Dixon war der erste und einzige - und ehrlich gesagt war ich ein bisschen enttäuscht, dass sich nicht mehr große Player engagiert haben und laut geworden sind.

Beat / Wie sieht die Situation für den Großteil eurer Mitglieder aus?

Anja Schneider / Alle in unserem Verband gehen der Arbeit hauptberuflich nach und sind seit März ohne Einkommen. Das muss man sich mal vorstellen. Künstler können in diesem Fall eventuell noch ins Studio gehen und veröffentlichen. Aber unsere Agenten und Manager haben nichts. Viele sind solo-selbständig und werden vom Staat in die Grundsicherung Hartz IV empfohlen. Das ist ein Armutszeugnis.

Beat / Ein Punkt, an dem sich gerade die Diskussion entfacht, ist das Thema Auslandsversteuerung. Besteht da seitens der Verantwortlichen ein längst überholtes Verständnis davon, wie Selbstständige heutzutage arbeiten? 

Anja Schneider / Es ist eine Frechheit. Wir DJs und auch die Künstler der Klassik leben von den Auslandauftritten, die wir IMMER in Deutschland versteuern. Bei der angekündigten „großzügigen“ Hilfe können wir aber nur unsere Inlandsgigs gelten machen ... wow … Bei der Auto-Industrie galt das nicht für den Export oder bei der Lufthansa auch nicht nur für Inlandsflüge. Deutschland ignoriert das Exportgut „Kultur“. Und das als das Land der Dichter und Denker ...

Beat / Ihr sprecht in eurem Forderungspapier auch von einem konkreten, realistischen Stufenplan zur Rückkehr des Clubbings. Wie könnte ein solcher Stufenplan aussehen? 

Anja Schneider / Es geht um eine Perspektive und ein wissenschaftlich, medizinisch begleitendes Konzept. Das kann und wollen wir nicht aus der Hüfte schießen. Viele Veranstalter haben über den Sommer bewiesen, dass es möglich ist, unter strikten Hygieneauflagen wieder aufzumachen und Club-Events in kleiner Kapazität unter freiem Himmel durchzuführen. Wir können das. Aber Ausgehen darf nicht zum Luxusgut werden.

Beat / Eine derart einschneidende Situation erfordert auch ein Nachdenken über das, was danach kommen könnte. Wie wird sich die Pandemie auf die Zukunft des Clubbings und des DJing auswirken?

Anja Schneider / Ich bin kein Fan vom Streaming. Aber das ist meine persönliche Meinung, da mir die Interaktion mit dem Publikum total wichtig ist. Es wird sicherlich lokaler werden und das irre herum reisen wird sich für einige von uns auch erledigt haben. Musikalisch aber bleibt es spannend.

Beat / Was würde uns verloren gehen, wenn tatsächlich ein Großteil der Clubs ihre Räumlichkeiten verliert und noch mehr DJs das Handtuch schmeißen müssen?

Anja Schneider / Zunächst einmal werden wir gehört und haben mit vielen Politikern gesprochen. Es gibt gaaaaanz langsam ein Bewusstsein für uns. Wenn aber der Ernstfall eintritt, wäre das ein totales Desaster! Wir brauchen unsere Clubs als Rückzugsräume, um uns zu entdecken. Wir brauchen sie zur Inspiration und um loszulassen.

www.booking-united.org
www.anjaschneider.com

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