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Test: Pro Tools Carbon - High-end Preis, high-end Leistung?

Mit Carbon liefert Avid (www.avid.com/plugins) eine umfangreiche Kombination aus Audiointerface, DAW und riesigem Softwarepaket, die vor allem auf Bands und größere Studios abzielt und das Problem Latenz mit DSP-Effekten aus dem Studioalltag bannen soll. Aber das ist noch lange nicht alles ...

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Den Kauf eines Audiointerfaces erwägt man für gewöhnlich beim Studiobau nach oder wenn die Kanäle der vorhandenen Technik nicht mehr ausreichen. Beim Carbon dürften mehrere Faktoren eine Rolle spielen, denn neben der Hardware selbst wird noch ein riesiges Software-Paket mitgeliefert, sowie eine Jahreslizenz von Pro Tools Standard bzw. Verlängerung des bestehenden Abos. Da die wichtigsten Features nur mit Pro Tools funktionieren, dürfte ein eventueller DAW-Wechsel Mitgrund sein. Aber erst mal zu den Fakten...

Kurz zur Technik

Das ordentlich schwere und hochwertig verbaute Carbon kommt im Rackformat von einer Höheneinheit daher und bietet sowohl front- als auch rückseitig eine ganze Menge Anschlüsse. USB oder Thunderbolt gehören nicht dazu, das Interface wird via Ethernetkabel mit dem Rechner verbunden. Hat der Rechner kein Ethernet, tut es auch ein separat erhältlicher Adapter von Ethernet auf Thunderbolt. Dieses AVB (Audio Video Bridging) genannte Format liefert ordentlich Bandbreite, läuft allerdings auch erst ab macOS 10.15.6 oder höher und ist auf Windows leider gar nicht erst verfügbar.

Ein- und Ausgänge

Die Rückseite bietet acht XLR/Line-Kombi-Eingänge, jeweils mit Preamp und Phantom-Power, vier davon mit variabler Impedanz, zur individuellen Anpassung ans anliegende Signal. Acht alternative Eingänge können über eine Kabelpeitsche im Sub-D-Format angeschlossen werden, gleiches gilt für die separaten Ausgänge. Diese sind allerdings nicht im Lieferumfang enthalten und schlagen nochmal mit je über 100 Euro zu Buche. Bei einem Anschaffungspreis von über 4.000 Euro dürften gern welche inklusive sein.

Auf der Haben-Seite gibt es vier Headphone-Outs, sowie - abhängig von Bit-Tiefe und Sampling-Rate - bis zu 16 Ein- und 16 Ausgänge via ADAT, womit das Interface insgesamt auf 25 Ein- und 34 Ausgänge kommt. Ebenso dabei sind Word Clock und ein Footswitch zum Aktivieren des internen Talkback-Mikrofons, das sich direkt neben dem Stereo-Eingang auf der Frontseite befindet. Praktisch!

Das Wechseln der Kanäle zum Aussteuern und Umschalten zwischen Mikrofon zu Line geschieht via Endlosregler, der sich zum Bestätigen drücken lässt. Carbon erkennt selbst, ob ein Instrument via Line oder Mikrofon per XLR angeschlossen wird und passt den Kanal automatisch an. Die Ausgänge (Monitor, Alt 1 und Alt 2) sowie Kopfhörer können separat eingestellt werden. Was auf diesen Kanälen wiedergegeben wird, lässt sich über den Mixer in Pro Tools festlegen.

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Software & Plug-ins en masse

Wie einleitend erwähnt bringt Carbon eine beachtliche Sammlung an Software mit. Angefangen mit einer Pro Tools Standard Lizenz inklusive Update-Plan für ein Jahr. Soll heißen, Pro Tools besitzt man für immer, aber Updates gibt es nach diesem Jahr nur weiterhin, wenn die Lizenz verlängert wird. Wer die Software bereits besitzt, erhält somit entweder eine Zweitlizenz oder kann seine bestehende Lizenz um ein Jahr verlängern. Dieses Jahr beginnt erst mit der Verlängerung, nicht schon mit dem Kauf von Carbon.

Die Werks-Plug-ins von Pro Tools sind nicht nur zahlreich, sondern decken so ziemlich jeden Bedarf für Recording,  Mixdown und Mastering ab. Neben Standards wie Delay, Flanger und Reverb gibt es auch Nachbauten von Fairchild, Focusrite und Urei Kompressoren, Pultec EQs, ein Tape Echo und Delays, Spring Reverb, eine Talkbox und sogar Moogerfooger-Emulationen des Ring Modulator, Lowpass Filter, Analog Delay und 12-Stage-Phaser. Von etlichen Stompboxen ganz zu schweigen. Optisch könnten einige der Plug-ins zwar eine Modernisierung und vor allem eine größere GUI vertragen, qualitativ sind die Effekte aber über jeden Zweifel erhaben. Mit UVI Falcon, sowie Vacuum, Xpand!2, Boom und einigen weiteren AIR Plugin-ins sind auch Instrumente und Synths an Bord, aber eher übersichtlich in ihrer Zahl.

Zusätzlich zu den hauseigenen Plug-ins ist noch jede Menge Stoff von Drittanbietern dabei, etwa bx_masterdesk, bx_console und bx_rockrack von Brainworx, das Arturia Plate-140 Reverb, Purple Audio MC77, der 6050 Channelstrip von McDSP, Melodyne Essentials und noch einige mehr. Auch eine dreimonatige Nutzung von Auto-Tune Unlimited ist inklusive. Der Gesamtwert des Paket kommt auf über 2.000 Euro und ist somit mehr als nur Beiwerk.

DSP-Effekte

Seine Stärke spielt das Interface bei den DSP-Effekten aus, die latenzfreies Monitoring ermöglichen sollen. Hauptsächlich für Kanalzüge von Sängern oder Instrumentalisten, die mit Effekten bearbeitet und wieder zurück geroutet werden, etwa auf die Kopfhörer. Natürlich lassen sich die DSPs ebenso zum Entlasten des Rechners verwenden. 

Um dieses Feature zu nutzen, genügt ein Klick auf einen „Native Mode“-Button im Mixer, schon wird die Rechnerleistung auf das Interface ausgelagert. Allerdings funktioniert dies ausschließlich mit Effekten und naturgemäß nur jenen, für die ein nativer Modus verfügbar ist. Das sind einerseits die internen Effekte von Pro Tools und andererseits einige der mitgelieferten Drittanbieter-Plug-ins. Das enthaltene Arturia Plate Reverb kann beispielsweise nicht ausgelagert werden und wird bei Nutzung des  Native Mode entsprechend deaktiviert. Einzelne Kanäle lassen sich aber in einen „Safe Mode“ versetzen, der die Nutzung solcher Plug-ins dennoch erlaubt, dann aber unter Inkaufnahme der Latenz. Für Delay und Reverb ist das in den meisten Fällen verschmerzbar.

Die Verteilung der Plug-ins auf die acht Prozessoren geschieht automatisch. Die Plug-ins werden möglichst zusammengefasst, um sich einen Prozessor zu teilen, bis dieser zu 100% ausgelastet ist. Effekte wie etwa bx_masterdesk, belegten im Test jeweils einen Prozessor für sich alleine und das bei gleichbleibender Auslastung von 67% pro Prozessor. Sprich, mit nur acht solcher Plug-ins ist die Rechnerleistung schon komplett erschöpft, weitere Effekte werden dann von Pro Tools automatisch deaktiviert oder müssen per Safe Mode verwendet werden. Ganz trivial ist die Nutzung also nicht, denn einerseits ist man angehalten, nur Effekte zu verwenden, die auch im Native Mode verfügbar sind, andererseits haben die acht Prozessoren auch ihre Grenzen, sodass man mit Bedacht und Übersicht arbeiten muss.

Für wen ist Carbon geeignet?

Carbon ist ein edles Audiointerface, mit hochwertigen Preamps, Wandlern und einer Menge an Ein- und Ausgängen, die mit einer Auflösung bis zu 32 Bit und 192 kHz arbeiten. Da das wichtigste Feature und die über 100 hauseigenen Plug-ins jedoch ausschließlich mit und in Pro Tools funktionieren, macht eine Anschaffung naturgemäß nur dann Sinn, wenn man 1. die DAW bereits nutzt oder künftig nutzen möchte, 2. mit einem aktuellen Mac arbeitet und 3. Mehrspur-Recording mit leistungshungrigen Effekten betreibt, etwa das Aufnehmen einer ganzen Band oder Live-Sessions. Gehört man zu diesem Kreis, relativiert sich der anfangs sehr hoch scheinende Preis und die vermeintlich limitierten DSPs ziemlich schnell. Denn vergleicht man die Anschaffungskosten für die entsprechende Menge an hochwertigem Outboard-Equipment, zahlt man für Carbon nur einen Bruchteil davon und besitzt darüber hinaus eine deutlich flexiblere Auswahl. Und während man Hardware-Setups eher umständlich austauscht und neu routet, genügt bei Pro Tools das simple Laden eines Templates oder einer alternativen Session. Vom gesparten Platz und der gewonnenen Mobilität ganz zu schweigen. Sicher, der Anspruch hierbei ist hoch, aber letztlich ist Carbon genau hierfür gemacht.

Alternative DIGIGrid

Mit DIGIGrid bietet die gleichnamige Firma (ein Zusammenschluss von DIGICO und Waves mit seinem  SoundGrid Protokoll) eine vergleichbare Produktpalette, denn auch lässt sich die Berechnung bestimmter Plug-ins – hauptsächlich von Waves auf die Prozessoren externer Hardware auslagern. Die Auswahl an Modellen ist dabei deutlich umfassender und nicht abhängig von Pro Tools. Die Verwendung selbst fordert allerdings mehr Konfiguration, während Carbon fest in der DAW verankert ist und dank Aktivierung per Knopfdruck quasi einen Autopiloten bietet.

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Fazit

Carbon ist eine Wuchtbrumme, in jeder Hinsicht. Die Ein- und Ausgänge sind zahlreich, die Technik über jeden Zweifel erhaben und das enthaltene Software-Paket ein Traum für jeden Mixing- und Mastering-Profi. Scheint der Anschaffungspreis anfangs ultimativ hoch angesetzt, relativiert sich dieser schnell, wenn man überschlägt, wo das Interface zum Einsatz kommt. Klar, der geneigte Homerecorder braucht kein Carbon, aber größere Recording- und Band-Studios erhalten mit dem Produkt eine allumfassende Komplettlösung. 

Ein No-Brainer ist die Nutzung allerdings nicht, denn soll sich der Erwerb lohnen, ist das Arbeiten mit Pro Tools Pflicht und auch während des Betriebs muss man weise mit der extra Rechenpower umgehen. Im Lieferumfang hätten wir uns die benötigten Ethernet-USB-Adapter und wenigstens ein Breakout-Kabel für die Line-Ins oder -Outs gewünscht. Wer zum Kreis der in Frage kommenden User gehört und mit dem Gedanken spielt, sich ein DSP-System zuzulegen, kann bedenkenlos zugreifen. Qualität und Stabilität sprechen für sich.

Bewertung
Name
Avid Pro Tools Carbon
Website
Pro
  • flexibles Audiointerface
  • hochwertige Preamps
  • einfache Einbindung
Contra
  • keine Adapter im Lieferumfangn
  • nur für Pro Tools geeignet
Preis
4.099 EUR
Bewertung
(83%)
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