Musik & Kommerz: Wie viel Zwang verträgt die Kreativität?

Geschrieben von Tobias Fischer
22.01.2014
15:07 Uhr

Kreative Unabhängigkeit gilt als das höchste Gut für einen Künstler. Um so bedenklicher, dass genau diese zunehmend von kommerziellen Interessen untergraben wird. Wenn Wirtschaft und Zweckdenken in Zukunft über die Möglichkeiten und Grenzen
von Kompositionen entscheiden – wie viel Freiheit bleibt Musikern dann noch?

(Bild: istockphoto)
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Auch als Musiker wird man gelegentlich mit politischen Dilemmas konfrontiert. Nur fallen sie zumeist eher subtil aus. Der englische Produzent Tom Hodge beispielsweise erhielt in der Frühphase seiner Karriere als Komponist für Werbespots einmal das Angebot, die Musik für eine griechische Zigarettenkampagne zu schreiben. Ganz bestimmt, so Hodge, habe er die Griechen nicht zum  Rauchen verführen wollen. Doch entschied er sich letztendlich dennoch zugunsten des Auftrags: „Es gab ganz praktische Gründe– ich brauchte das Geld zum Leben.“

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Vor ähnliche Konflikte sehen sich praktisch täglich viele seiner Kollegen gestellt und das beileibe nicht nur, wenn es um moralisch zweifelhafte kommerzielle Erwerbsmöglichkeiten geht. Vielmehr steht bereits bei den eigenen Produktionen regelmäßig die Frage im Raum, ob man für sich selbst oder das Publikum produzieren, sich der Freiheit verschreiben oder den Gesetzen des Marktes beugen soll.

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Angesichts magerer Erwerbsaussichten im Kerngeschäft haben diese Aspekte in den letzten Jahren eher noch an Bedeutung hinzugewonnen: „Unsere Freiheit des Ausdrucks und der Meinung geht in der aggressiv-kapitalistischen Reglementierung der Menschen durch Konzerne, internationalisiertes Kapital und Profitmaximierung zugrunde“, hat der Komponist Enjott Schneider einmal gesagt. „Musik ist Kunst – kontra Kommerz und Kapitalismus.“ Stehen wir angesichts der zunehmenden Durchdringung von Kunst und Kommerz kurz davor, unsere kreative Unabhängigkeit aufzugeben?

 

Harte Kämpfe, wichtige Siege

Man mag Schneiders Aussage für überspitzt halten, aber er trifft zumindest in einer zentralen Hinsicht genau den Nerv: Dass wir heute überhaupt über die Bedeutung und Notwendigkeit freien Ausdrucks in der Kunst reden können, ist eine Errungenschaft, für die viele Generationen von Musikern hart gekämpft haben. Bis in das frühe 18. Jahrhundert hinein war die Vorstellung eines unabhängigen Berufsmusikers geradezu grotesk – sofern man nicht bereit war, sein Leben als fahrender Geselle zu verbringen.

Die wenigen professionellen Komponisten und Instrumentalisten standen ausnahmslos im Dienst von Adel oder Kirche, ihre Werke waren rein funktional für den Einsatz in Messen, als Hintergrundberieselung beim Fasanenmahl oder zur Abendbelustigung des Fürsten gedacht. Der Künstler, so hat es Eleonore Büning in der „Zeit“ einmal treffend formuliert, „hatte damals in der Regel den Status niederer Dienstboten“. Erst zur Zeit Mozarts, als sich das wirtschaftliche Gleichgewicht zugunsten der aufstrebenden bürgerlichen Klasse verschob, begann sich die Situation zu ändern.

Mozart, der erste Superstar

Mozart war der vielleicht erste Musiker, der sich seinen Lebensunterhalt ohne fürstliche Unterstützung sichern musste. Dieser Hintergrund erklärt seine ständigen Bitt- und Bettelbriefe, seine schwankende Finanzlage sowie die Tatsache, dass seine Musik für Klavier eine zentrale Stellung in seinem Werk einnimmt – denn als herausragender Pianist konnte Mozart genau diese Stücke selbst aufführen und zu finanziell lukrativen Spektakeln gestalten. Komponisten strömten in die Städte, wurden zu Unternehmern, abgöttisch verehrten Idolen und gelegentlich sogar zu Superstars.

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Die Kehrseite der Medaille bestand freilich darin, dass sich nur wenige ein stabiles Einkommen sichern konnten, von dem launenhaften Geschmack des Publikums, den Bedingungen der Musikverleger oder den im 20. Jahrhundert aufkommenden Plattenfirmen abhängig waren. Dabei wurde die Schere zwischen kreativen Idealen und praktischen Erfordernissen immer größer. Diese gefühlte Kluft geht darauf zurück, dass sich der Anspruch von Musikern an das eigene Werk seit dem 18. Jahrhundert tiefgreifend gewandelt hat. Dank Mozart und vor allem Beethoven entwickelte sich das Dasein als Komponist von einem Handwerk und Beruf immer mehr zu etwas Heiligem und einer Berufung.

Der Ansatz, sein Ding ohne Kompromisse oder Rücksicht auf die Hörerschaft durchzuziehen und jeden Aspekt des eigenen Kunstwerks ohne äußere Einwirkung genaustens durchzugestalten, wurde immer mehr zum Ideal. Der Regisseur David Lynch hat dieses einmal folgendermaßen definiert:„Ich komme aus der Malerei. Und als Maler musst du dich nicht mit diesen Fragen auseinandersetzen. Du malst einfach ein Bild. Keiner stört dich dabei und sagt: 'Das musst du ändern, diese Stelle sollte blau sein.' Wie kann man ernsthaft glauben, ein Film könne wirklich etwas bedeuten, wenn du jemand anderem erlaubst, daran herumzuspielen? […] Der Regisseur entscheidet über jedes einzelne Element, jedes Wort, jedes Geräusch […].“

Schon lange vor Lynch schrieb Anton Webern einmal ein Stück für ein gesamtes Symphonieorchester, ließ es aber kaum eine Minute lang spielen und vor allem sehr leise – ein Stinkefinger an jeglichen Pragmatismus mit einer klaren Botschaft: Jeder Versuch, auf die Budgets und praktischen Erwägungen hinzuweisen, wird als Verrat an den eigenen Grundsätzen verstanden.

Produktives Ringen

Das ist nicht nur deswegen eine problematische Einstellung, weil gerade aus dem ständigen Ringen zwischen kommerzieller Notwendigkeit und künstlerischer Vision einige der stärksten musikalischen Statements entstanden sind: Verdi schrieb einige seiner berühmtesten Opern erst nach enttäuschenden Publikumsreaktionen zu Klassikern um. Die Band Neu! konnte sich für ihr zweites Album nicht genug Studiozeit leisten und erfand in der Not den Remix. Und viele der aufregendsten ersten Techno-Produktionen mussten mit musikalisch genialen Konzepten die Tatsache vertuschen, dass sie mit primitivem Equipment erstellt worden waren.

Sicherlich gibt es genügend Beispiele dafür, dass Beschränkungen einem zufrieden stellenden Endergebnis auch im Weg stehen können. Doch folgt andersherum eben auch nicht zwangsläufig, dass grenzenlose Budgets ein musikalisch wertvolles Produkt erzwingen können. Darüber hinaus hat eine radikal unabhängige Einstellung aber noch ganz andere Nachteile: Wenn sich ein Musiker gänzlich von seinem Publikum abkapselt, ihm den Rücken zuwendet, sich dem Applaus verweigert oder Musik schreibt, die bewusst die Aufnahmefähigkeit des menschlichen Gehirns übersteigt, untergräbt er letztendlich die so entscheidende Beziehung zwischen Musik und Hörer.

Was ist künstlerische Unabhängigkeit?

Man muss sich fragen: Ist es wirklich künstlerische Unabhängigkeit, wenn man Musik veröffentlicht, die keiner hören will – oder einfach nur Verweigerung? In den letzten vier Jahrzehnten haben Künstler immer versucht, ihre persönlichen Ansprüche mit den Interessen des Publikums zu versöhnen oder zumindest aktiv Situationen zu schaffen, in denen Kompromisslosigkeit in der Kunst keine ruinösen Konsequenzen für das Leben außerhalb der Kunst hat. Werner X Uehlinger, Betreiber des legendären Jazz-Labels Hathut, veröffentlichte seine erste Platte beispielsweise aus Ersparnissen seiner Tätigkeit als Marketing-Manager beim Chemiegiganten Sandoz und behielt die daraus gewonnene kreative Unabhängigkeit so lange wie möglich bei.

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Der Film- und Serienkomponist Stu Phillips (Knight Rider, Battlestar Galactica) betrachtete das Komponieren zwar als reinen Job, füllte ihn aber sein Leben lang mit Bedeutung, indem er zwischen den Bedingungen des Regisseurs und der eigenen Integrität zu vermitteln versuchte. Und während viele Produzenten sich bewusst für ein Dasein als Amateur entschieden, um die volle Kontrolle über ihre Musik zu behalten, wechselten andere auf die betriebliche Seite, um soweit möglich selbst die Spielregeln zu definieren.

Pioniere dieses Ansatzes waren das Kölner Label Kompakt, das aus einem Dreimannbetrieb zu einem führenden Vertrieb wurde sowie die Folk-Singer-Songwriterin Ani diFranco, die mit ihrem Righteous-Babe-Label schon früh das Heft selbst in die Hand nahm und sich eine Struktur aufbaute, innerhalb der sie sich nicht mehr dem Diktat einer Plattenfirma zu beugen hatte: „Ich kann etwa fünfzehn Leute beschäftigen, die den Laden schmeißen, während ich herumfahre und Musik mache. Ich kann den Umsatz der lokalen Drucker und Handwerker stimulieren und unabhängige Vertriebe, Promoter, Agenten und Publizisten beschäftigen. Righteous Babe Records […] ist für mich eine Möglichkeit, die Beziehung zwischen Kunst und Kommerz in meinem Leben neu zu definieren.“ Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise muss somit nicht  unbedingt verwerflich sein, sondern kann sogar idealistische Züge tragen.

Neue Freiheiten, neue Abhängigkeiten

Eine eigene Firma führt aber natürlich nicht nur zu Freiheiten, sondern gleichzeitig wieder zu neuen Abhängigkeiten – und sei es nur, dass die Miete für das Büro und die Gehälter der Mitarbeiter gezahlt werden müssen – aus denen sich wiederum potenzielle unerwünschte Einflussfaktoren auf die kreative Arbeit ergeben. Daraus wird immer klarer, dass sich innerhalb einer arbeitsteiligen Gesellschaft notwendigerweise gewisse Paradoxe auftun. Denn wer einmal beschlossen hat, von der Kunst leben zu wollen, kann schlicht und ergreifend nicht ohne die Unterstützung anderer auskommen.

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Die eigentliche Herausforderung besteht nicht darin, diesen unlösbaren Widerspruch zu schlichten oder ihm aus dem Weg zu gehen. Sondern darin, die Beziehung mit dem Publikum als Inspiration statt Intervention zu betrachten. Kompromisse müssen keineswegs Verrat bedeuten. Das wusste schon Mozart, der seine Kompositionen immer so anlegte, dass sie sowohl den Laien in Entzücken und den Fachmann in Erstaunen versetzten. Auch Tom Hodge stellt sich den Herausforderungen seines Berufs immer wieder aufs Neue.

Aufträge aus der Werbebranche bieten auch weiterhin die beste Möglichkeit, künstlerisch ambitionierte Projekte wie seine Band Piano Interrupted zu subventionieren: „Ich fahre einen feinen Kurs zwischen Projekten, die meinen Bauch ernähren und denen, die meine Seele ernähren. Wenn deine Karriere sich in die richtige Richtung bewegt, bekommst du Projekte, die beides tun!“ Sich selbst in eben diese Richtung zu bewegen, ist die eigentliche Aufgabe für alle, denen kreative Unabhängigkeit am Herzen liegt. 

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