Test

Bioshock Infinite im Test: Rapture ist Vergangenheit, hoch lebe Columbia!

2K Games greift mit Bioshock Infinite nach den Sternen oder doch zumindest nach den Wolken und verpasst dem Nachfolgespiel von Bioshock und Bioshock 2 auch einen entsprechend ambitionierten Titel. Ob die Erwartungen erfüllt oder enttäuscht wurden? Wir haben uns das lang ersehnte Spiel angeschaut und den Test gemacht.

Rapture, der Schauplatz aus den Vorgängerspielen, wird in den Ruhestand geschickt, obwohl es eine große Zukunft vor sich hat. Denn Bioshock Infinite spielt in einer alternativen Zeitlinie rund 40 Jahre vor den Ereignissen des ersten Spiels. Auch die Extreme wandeln sich, denn anstelle der Klaustrophobie der Tiefsee, muss sich der Spieler diesmal mit seiner Höhenangst auseinandersetzen: Die Wolkenstadt Columbia, der neue Handlungsort, wurde um die Jahrhundertwende auf sogenannten fixierten Quantenteilchen circa 10.000 Fuß über der Erdoberfläche gebaut, um die Idee der Vereinigten Staaten von Amerika in seiner absoluten Vollkommenheit zu verwirklichen. Aber wie jede Utopie besitzt auch Columbia eine, wenn nicht mehrere, dunkle Seiten, denn Rassismus, Fanatismus und Überwachungsstaat sind selbst so nah an der Sonne nicht weit entfernt.

In der Rolle des Protagonisten Booker DeWitt reisen wir Jahre nachdem sich die USA von Columbia distanzierte und die Stadt mehr Mythos als Realität ist, im mysteriösen Auftrag zweier Unbekannter in den Himmel, um eine Schuld zu begleichen, indem wir ein Mädchen zurück zur Erde bringen sollen. Viel mehr erfährt man in der ersten Hälfte des Spieles auch nicht über die Story oder die Charaktermotivation, man macht sich stattdessen mit der Spielmechanik vertraut. Die ist relativ simpel, denn im Wesentlichen reicht es auch auf mittlerem Schwierigkeitsgrad völlig aus, ständig auf die Gegner zu ballern und bei einem Bossgegner hin und wieder mal eine der Spezialfähigkeiten raus zu hauen.

Apropos Spezialfähigkeiten: Im Laufe des Spiels bekommen wir acht ausbaubare und mehr oder wenige nützliche Fähigkeiten geschenkt, die etwas Abwechslung in das ansonsten recht eintönige Schützenfest bringen. Mit „Beherrschung“ kontrollieren wir wie vermutet Gegner und Geschütztürme, mit „Teufelskuss“ werfen wir brennende Handgranaten, mit „Killerkrähen“ schicken wir tollwütige Vögel durch die Gegend und mit „Sog“ spülen wir ganze Gegnerhorden in den Abgrund. Und an Abgründen herrscht so hoch oben in der Luft nun wirklich kein Mangel.

Atmosphäre schlägt Grafikfeuerwerk

Das macht nicht nur Spaß, sondern sieht auch noch gut aus. Angetrieben von einer modifizierten Unreal 3 Engine produziert Bioshock Infinite Panoramabilder am laufenden Band. Egal ob man den Blick in die Ferne schweifen lässt oder sich einfach nur die Textur einer Hauswand ansehen will, man wird nie enttäuscht. Das Gleiche gilt für den Soundtrack von Garry Schyman. Im Großen und Ganzen ist dem Komponisten eine großartige Musikuntermalung gelungen, die allerdings einen Schwachpunkt hat: Anrückende Gegner erkennt man an der Musik, bevor man sie sieht oder auch nur Schritte, Schüsse und Geschrei hört.

Am beeindruckendsten ist aber die atemberaubende Atmosphäre. Irrational Games bleibt der Art-Deco-Steampunk-Mischung Raptures treu und erweitertet sie um fliegende Hochhäuser mit festen Dockingzeiten für Einkaufsläden statt Öffnungszeiten, mit Zeppelinen und rasanten Fahrten an Monorailverschnitten, mit Geschütztürmen, Geistern und herrlichen Nonsens-Dialogen, denen man lauschen kann, wenn man nur lang genug an einer Stelle stehen bleibt. Sogar Münzferngläser stehen an jedem interessanten Aussichtspunkt, um uns auch ja den letzten Winkel dieser Welt genießen zu lassen.

Zuerst keine Story...

Die erste halbe Stunde verfliegt also, während man versucht keinen Kieferkrampf vor lauter Staunen zu bekommen, bis das Spiel völlig unerwartet und mit einem Schlag Ernst macht. Rassismus und Brutalität brechen völlig überraschend aus der heilen Welt hervor und wir sind mittendrin. Gerade waren wir noch Tourist, jetzt werden wir als Antichrist des amerikanischen Traums gejagt, denn rein zufällig besitzt DeWitt auf seinem Handrücken genau die Narben, die ein gewisser „Versucher“ auch haben soll. Während wir uns die Schergen von Columbias Gründer und Übervater Chromstock vom Hals halten, stoßen wir schließlich auf die liebenswerte Elizabeth, die in ihrem goldenen Käfig von einem grandiosen Bodyguard beziehungsweise Wärter bewacht wird. Das Mädchen sollen wir jetzt zurück zur Erde bringen, um endlich wieder ruhig schlafen zu können, da uns die schon erwähnte unbekannte Schuld in den Wahnsinn zu treiben scheint.

... Später dafür um so mehr!

Elizabeth wurde allerdings nie gefragt, ob sie denn überhaupt mit will und läuft deshalb konsequenterweise mehrmals weg, bis sie endlich unsere vermeintlich noblen Absichten erkennt und uns tatkräftig unterstützt. Diese Hilfe haben wir dann auch bitter nötig, denn jetzt müssen wir uns mit Waffenhändlern, verrückten Wissenschaftlern, alternativen Realitäten, Megalomanen mit Götterkomplex, Veteranen mit Posttraumatischen Belastungsstörungen und einer grausamen Resistance ohne jedes Moralkonzept auseinandersetzen. Zuerst wirkt dieses Feuerwerk an verrückten und äußerst gelungenen Gegnern etwas wahllos, aber im letzten Drittel erinnert sich der Entwickler dann auch endlich wieder daran, dass ein großartiges Spiel im Idealfall Story besitzt und holt alles nach, was bis dahin versäumt wurde. Wer hier nicht hundert Prozent seiner Aufmerksamkeit jedem der verstreuten Auftritte der Lutece Geschwister widmet, der muss sich unbedingt bei der Wikipedia bedienen, um alles verstehen zu können. Verschiedene Dimensionen mischen sich mit religiösen Motiven und ergeben am Ende eine etwas verstörende, doch hochinteressante Auflösung aller Ereignisse. Und selbst ein ganz kurzer Ausflug nach Rapture findet statt, obwohl das ja eigentlich noch gar nicht existiert.

 

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